Wein

Seit ich unterhalb der Weinberge am Fuße des Spitzbergs in Hirschau lebe, habe ich auf das Titelthema „Wein“ noch einmal einen anderen Blick gewonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich eher ein distanziertes Verhältnis dazu – nicht zuletzt deshalb, weil ich im Freundeskreis miterlebt hatte, was Alkohol anrichten kann. Hier im Tübinger Stadtteil Hirschau, in dem es eine Weinbautradition gibt, die bis in die heutige Zeit trägt, habe ich erlebt, mit wie viel Zeit und Liebe die hiesigen Wengerter ihren Wein herstellen. Ohne diese Liebe zu den Weinstöcken und ohne die zeitaufwändige stetige Pflege – sprich: Ohne Treue zum Weinberg, seinen Pflanzen, den Trauben und dem gewonnenen Saft – ist es nicht möglich, einen guten Wein herzustellen. Dies beeindruckt mich jedes Jahr aufs Neue, und ebenso beeindruckt mich die Geschmacksvielfalt, die wir, z. B. bei der Weinprobe am Urbansfest der Hirschauer Wengerter, verkosten dürfen. Dass Trauben einer Lage eine solche Vielfalt an Geschmacksnuancen bieten, ist – gläubig ausgedrückt – ein Geschenk der Schöpfung Gottes. Auch die Bibel benennt in ihren vielen Belegstellen um den Wein und den Weinbau die eben genannten Aspekte. Im Alten Testament lobt der Psalmist den Schöpfer, dass der Wein „das Herz des Menschen erfreut“ (Psalm 104,15), und der Weisheitslehrer Jesus Sirach weiß: „Wie ein Lebenswasser ist der Wein für den Menschen, wenn er ihn mäßig trinkt. Was ist das für ein Leben, wenn man keinen Wein hat, der doch von Anfang an zur Freude geschaffen wurde? Frohsinn, Wonne und Lust bringt der Wein, zur rechten Zeit und genügsam getrunken.“ (Jesus Sirach 31,27f.)

Die Evangelien des Neuen Testaments berichten uns davon, dass Jesus selbst Wein getrunken hat. Auf Festen und oft auch mit Menschen, mit denen sonst niemand an einem Tisch sitzen wollte, hat er nicht nur Mahl gehalten und Wein getrunken, sondern auch das Leben geteilt. Dass Jesus sich beim letzten Abendmahl selbst mit dem Wein identifiziert hat, prägte den Glauben der Christen nachhaltig. Jesus reichte seinen Jüngern zum Abschied den Kelch mit Wein, den er gesegnet hatte. Seine Liebe, die von Gottes Segen erfüllt ist, sollen sie trinken, um so mit ihm und untereinander verbunden zu bleiben.

Die Geräusche der Traubenpresse in der Karfreitagsliturgie 2020 in St. Ägidius bleiben mir wohl mein Leben lang in Erinnerung. Dies war damals das sinnfällige Symbol für Jesu Leiden und Sterben. Jesus, sein Leben, seine Worte, sein Tun werden zermalmt und gepresst. Es ist eine Liebe, die sozusagen ausgepresst wird für uns. Blut, das vergossen wird, weil Jesus in Treue zu seiner Botschaft der Liebe gestanden ist – bis zum Schluss. Aber dabei bleibt es nicht: Der Saft wandelt sich zu Wein, zum Elixier des Lebens. Davon dürfen wir dankbar und mit Bedacht schon hier auf Erden kosten. Gabi Lutz, Pastoralreferentin

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