5 Jahre nach der Umwelt- und Sozialenzyklika Laudato Si

Bereits seit Mai 2020 dauert das von Papst Franzis-kus ausgerufene Laudato-Si-Jahr an. Mit diesem Themenjahr erinnert der Papst an seine vor fünf Jahren veröffentlichte Umwelt- und Sozialenzyklika „Laudato si“. Er ermutigt zu einer vertieften Beschäftigung mit der Enzyklika in der Katholischen Kirche und ruft eindringlich dazu auf, den „Schrei der Erde und der Armen“ nicht länger zu ignorieren. In der Botschaft zum Weltgebetstag für die Bewahrung der
Schöpfung am 1. September 2020 stellt Franziskus fest: „Wir wissen, dass der Schrei der Erde und der Armen in den vergangenen Jahren noch lauter geworden ist.“

In dieser Situation der ungebremsten Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen ruft Laudato Si alle Menschen, besonders aber Christinnen und Christen auf zur ökologischen Umkehr: „... die Umweltkrise ist ein Aufruf zu einer tiefgreifenden inneren Umkehr ... einer ökologischen Umkehr“ (LS 217). Laudato Si propagiert nicht einfach nochmals eine moralische Forderung, wie es schon so viele gibt. Es geht vielmehr darum, in unserer westlichen Welt und weltweit eine neue Haltung zur Natur und Schöpfung zu entwickeln. Voraussetzung ist dafür ist es, „eine Umkehr bzw. einen Wandel des Herzens zu erfahren.“ (LS 218).

Dieser Wandel führt weg vom ökonomischen Nutzenkalkül, das den Wert der Natur und der Schöpfung in erster Linie im Nutzen, auch im ökonomischen Nutzen für die Menschen sieht. Gleich zu Beginn des Schreibens beschreibt Franziskus treffend die in der westlichen Welt seit Jahrhunderten gepflegte Haltung: „Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre (der Erde) Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern.“ Demgegenüber betont Laudato Si mehrfach und eindringlich den „Eigenwert eines jeden Geschöpfs“ vor Gott. Alle Lebewesen preisen und verherrlichen Gott „schon allein durch ihr Dasein, denn der Herr freut sich seiner Werke (vgl. Ps 104,31)“ (LS 69).

Die Missachtung des Eigenwerts der Geschöpfe Gottes
ist in unserer Kultur und in der marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaft bisher gewohnte Praxis. Laudato Si sieht uns Menschen als Teil der Schöpfung Gottes. Wir stehen nicht über ihr und gehen daher achtsam und respektvoll mit der Schöpfung um. Der Hl. Franziskus ist darin Vorbild.

„Wenn wir uns bewusst werden, dass in allem, was existiert, der Widerschein Gottes vorhanden ist, verspüren wir zuinnerst den Wunsch, den Herrn für alle seine Geschöpfe und gemeinsam mit ihnen anzubeten, wie es in dem wunderschönen Hymnus des heiligen Franziskus von Assisi, dem Sonnengesang, zum Ausdruck kommt (LS 87)“.

Stefan Schneider, Umweltbeauftragter der Diözese Rottenburg-Stuttgart

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Der konziliare Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung

ein persönlicher Rückblick

Als wir im Redaktionsteam des HeiligsBlättle darüber diskutierten, was wir mit „Bewahrung der Schöpfung“ verbinden, fühlte ich mich in meine Studienzeit Ende der 1980er Jahre in Bonn zurückversetzt. Vom „konziliaren Prozess“ hörte ich zum ersten Mal durch den damaligen Spiritual der Priesteramtskandidaten des Bistums Aachen, Dr. Hans Günter Bender, dessen wöchentliche Vorträge – die sogenannten „Spritvorträge“ – mich begeisterten: „Schon seit langem sage ich: Wer Kirche in der Welt von heute gestalten will, muss sich für moderne Literatur interessieren. Heute bin ich überzeugt, dass wir uns außerdem für den konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einsetzen müssen.“ Beides – die Auseinandersetzung mit moderner Literatur und mit dem konziliaren Prozess – verstand er als Suche nach den „Zeichen der Zeit“, durch die Gott heute zu uns spricht.

Heute erscheint uns die Kombination der Worte „Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ völlig selbstverständlich. 1988, als ich zum ersten Mal davon hörte, war das noch nicht so. Erst fünf Jahre zuvor, auf der Vollversammlung des Weltkirchenrats 1983 in Vancouver, war ein allgemeines christliches „Friedenskonzil“ angeregt worden. Hintergrund war das Bewusstsein, dass es auch zu den Aufgaben der Kirchen gehört, dafür „mitzusorgen, dass die Menschen leben können in der Fülle des Lebens – so wie Gott ihnen das Leben zugedacht hat – auch schon hier. Deswegen sind die großen Fragen nach Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung Themen des kirchlichen Nachdenkens und kirchlichen Handelns und kirchlichen Verkündigens“ (Bender 1988). Weil sich jedoch an dem Wort „Konzil“ Widerspruch entzündete, einigte man sich auf einen „konziliaren Prozess“, einen gemeinsamen ökumenischen Lernweg der christlichen Kirchen, zu dessen nächsten größeren Etappen z.B. die europäische Konferenz in Basel 1989 und die globale ökumenische Weltversammlung in Seoul 1990 gehörten. 

 Wir (Theologie-) Studenten und Studentinnen in Bonn setzten uns damals in einer Arbeitsgruppe zunächst einmal intensiv damit auseinander, inwiefern uns die Themen „Frieden“, „Gerechtigkeit“ und „Bewahrung der Schöpfung“ eigentlich persönlich betrafen – oder wie weit weg sie uns schienen. Mir wurde dabei bewusst, wie wenig ich bis dahin über meinen eigenen Lebensstil nachgedacht hatte. Wir tauschten uns darüber aus, sammelten Ideen, probierten sie aus. Es kostete mich einigen Mut, Lebensmittel unverpackt einzukaufen und z.B. meinen eigenen Brotbeutel zum Bäcker mitzunehmen! Spannend fand ich, beim „Energiefasten“ in der Fastenzeit auszutesten, wo ich überall Strom sparen konnte. Viele weitere Stichworte aus dem Manuskript eines „Spritvortrags“ vom Dezember1988 erscheinen aus heutiger Perspektive zwar nicht neu, aber immer noch erstaunlich aktuell, etwa fairer Handel, überhöhter Fleischkonsum, Umgang mit Asylbewerbern oder das „Problemfeld Auto“. Dabei ging es immer darum, uns für einen konkreten Ansatzpunkt zur „Unterbrechung des Gewohnten“ zu entscheiden und eine „Selbstverpflichtung“ zur Veränderung des eigenen Verhaltens zu treffen.

Wie ist es nach diesen Anfängen in den 1980er- und 1990er-Jahren weitergegangen? Unser Bonner Arbeitskreis begann sich aufzulösen, als wir nach und nach Examen machten – doch mit einer kleinen Gruppe versuchen wir, auch im Berufs- und Familienalltag weiter dranzubleiben und uns gegenseitig zu bestärken; trotz inzwischen weit auseinanderliegender Wohnorte treffen wir uns immer noch jährlich. Und auch an vielen anderen Stellen werden die Anliegen des konziliaren Prozesses bis heute weiterverfolgt, teilweise auch mit anderen Akzentsetzungen oder in neuen Initiativen wie dem „Ökumenischen Netzwerk für Klimagerechtigkeit“. Auch kirchliche Verlautbarungen wie die Enzyklika „Laudato si‘“ von Papst Franziskus aus dem Jahr 2015 sind wichtige Signale. Die Entwicklung im Einzelnen nachzuzeichnen erscheint nicht einfach, denn sie verläuft „nicht geradlinig, wie immer, wenn unterschiedlichste Akteure weltweit nach Möglichkeiten und Grundlagen für gemeinsames Handeln suchen“ (Dietschy 2017). In unserer Tübinger Gesamtgemeinde hat der AK Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in St. Johannes, der u.a. zwei Gemeindeprojekte in Burundi und Kenia unterstützt sowie regelmäßig fair gehandelte Produkte verkauft, seinen Schwerpunkt im Bereich „Gerechtigkeit“ gesetzt.

Was mir noch einmal neu bewusst geworden ist: Der Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung braucht einen langen Atem, persönlich und gesellschaftlich. Es ist ein Marathonlauf, kein Sprint. Schnelle Schritte – auf die die Fridays-for-Future-Bewegung zu Recht drängt –, sind wichtig und notwendig; zu einer nachhaltigen Veränderung führen sie aber nur, wenn wir den „Prozess“ danach beharrlich fortsetzen und uns immer wieder neu aufmachen: gemeinsam, „konziliar“ und ökumenisch – und im Vertrauen darauf, dass wir, wie die Emmaus-Jünger, auf diesem (österlichen) Weg begleitet werden.

Anne Thillosen

 

Literatur:

Bender, Hans Günter (1988): Der konziliare Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Vortrag im Collegium Leoninum, Bonn, am 3. Mai 1988 (unveröffentlichtes Manuskript). 

Dietschy, Beat (2017). Der Konziliare Prozess und die Agenda für nachhaltige Entwicklung. Übereinstimmungen und Unterschiede. Jahrbuch Diakonie Schweiz 1 (2017), S. 33-73.

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Religionspädagogische Grundlagen

Fridays for future geht mittlerweile auch in Tübingen seit mehr als anderthalb Jahren auf die Straße. Und seit langem wird fridays for future von den Jugendorganisationen und den Kirchen in Tübingen unterstützt. Ob es um das Stellen von Ordner*innen für die Demos, gemeinsame Aufrufe oder sonstige (auch mentale) Unterstützung geht. Die Kirchen und Jugendorganisationen sind in Tübingen wichtige Bündnispartner*innen von fridays for future. Für den Globalen Klimastreik von fridays for future hatten am 20. Sept. 2019 beispielsweise alle Kirchen in Tübingen mit zum Streik aufgerufen, mit Bannern an den Kirchen auf den Streik aufmerksam gemacht und die Kirchenuhren zur Zeit des Streiks angehalten. Außerdem gab es einen ganzen KjG - Block auf der Demonstration. An diesem Tag waren insgesamt ungefähr 9.000 Menschen beim Klimastreik dabei, die gemeinsam für das Bewahren des Planeten und für Klimagerechtigkeit demonstriert haben. Weil es alle Menschen betrifft, kommen bei den Klimastreiks die unterschiedlichsten Menschen aller Generationen und Glaubensrichtungen zusammen. Doch auch hinter den Kulissen findet ausgiebiges Engagement im Bereich Umweltschutz statt: Das Thema Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung ist in der Jugend der Kirche, zum Beispiel beim BDKJ, den Ministrant*innen, der KjG, den Pfadfinder*innen oder in Taize allgemein präsent.
BDKJ und KjG rufen auf sozialen Netzwerken zur Teilnahme an FFF-Demonstrationen und zu weiterem klimafreundlichen Handeln auf. Auch intern gibt es entsprechende Bildung für die Mitglieder, so gab es auf der vergangenen KjG-Diözesankoferenz der Diözese Rottenburg-Stuttgart einen ganzen Block, wo die Fortbildung im Bereich Umweltschutz ins Auge gefasst wurde.

Ein Paradebeispiel für aktiven Umweltschutz sind da meist die Zeltlager. Bei dem diesjährigen Ministrant*Innen- und KjG-Zeltlager der Tübinger Kirchengemeinden wurde beispielsweise die Ernährung für die gesamte Gruppe mit nur einem Fleischgericht in der gesamten Zeit des Aufenthalts überwiegend vegetarisch gehalten, was in Anbetracht des enormen Schadens, den die Produktion tierischer Lebensmittel an der Umwelt verübt, als ein wegweisender Schritt in der Jugendarbeit und in der pädagogischen Verantwortung der Leitungskräfte gesehen werden kann.

Wo das Thema Klimaschutz bereits bei KjG und den „Minis“ einen Platz beim allgemeinen Austausch am Esstisch oder beim Basteln findet, gibt es in der Jugendarbeit eine Personengruppe, die das Thema in ihrem Grundsatz verankert: Pfadfinder*in bewegen sich in der Natur mit der Natur. Die Gemeinschaft wird durch das Bauen von Alltagsgegenständen, sich im Gelände bewegen, Lagerfeuerabende und die ressourcenschonende Nutzung der Natur erlebt und erfahren. Pfadfinder*n zu sein, bedeutet, mit der eigenen naturverbundenen Basis jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen. Taizé ist als spiritueller Ort auch ein Ort der „Schöpfungsliebe“. Mensch schläft in Zelten oder Barracken mitten in der französischen Pampa; die Natur ist in Taize eine der wichtigsten Bestandteile. Durch das gemeinsame zelten, spielen, singen, beten, gärtnern und meditieren lernt mensch die Natur auf ganz andere Weise kennen. Ihre Erhaltung und die Bewahrung der Schöpfung/des Planeten wird auch in Taize in den Gebeten und Gesprächen oft und intensiv diskutiert und thematisiert.

Durch diese positiven Natur- und Schöpfungserfahrungen in Taizé, die gemeinsamen Aktionen mit den Ministrant*innen, der KjG, etc. bekommt mensch durch deren Potential und als Teil dieser Jugendbewegungen das Gefühl, zusammen etwas für den Planeten, bzw. für Klimagerechtigkeit reißen zu können.

Durch die allgemeine Selbstorganisation und Vernetzung der Jugendgruppen und -bewegungen sind junge Menschen es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen für die eigenen Taten, aber auch für die Zukunft der Schöpfung und des Planeten. Außerdem ist der Gedankenaustausch durch das „Suchen“ in der Jugend viel ungehemmter und progressiver als in der „normalen“ Kirchengemeinde. Aber auch in den Gottesdiensten der Kirchengemeinden wird das Thema der Nachhaltigkeit und der Bewahrung der Schöpfung thematisiert. Es werden immer wieder Aktivist*innen von fridays for future in Gottesdienste eingeladen, die Jugend kann und wird also zu Rate gezogen.

Die Natur ist ein großes Geschenk. Die Schöpfung, die uns gegeben wurde, ist ein großes Geschenk.

Das ist unsere Motivation. 

Es gibt so viele Menschen, denen es so viel schlechter geht als uns. Es gibt so viele Menschen, die schon jetzt durch die Folgen des (menschengemachten) Klimawandels und die der Klimakrise leiden, ihr Zuhause verlieren oder Hunger leiden müssen.

Auch für diese Menschen ist es wichtig, dass alle Menschen zusammenhalten, wenn es um die Bewahrung des Planeten geht. Es ist wichtig, dass alle sonstigen Differenzen, sollten es Glaubensfragen oder politische Fragen sein, bei dem Thema nicht zählen dürfen. Es muss auf Nächstenliebe Verlass sein.

Uns allen ist bewusst, dass mensch durch persönliche Einschränkung oder Verzicht, um den Planeten zu schonen, nicht direkt etwas im Gegenzug zurück bekommt. Dennoch fordern wir die gleiche Konsequenz, die in Glaubensfragen gern gesehen wird, auch gegenüber der Wissenschaft in Klimafragen.

Denn: Die Natur ist ein großes Geschenk. Die Schöpfung, die uns gegeben wurde, ist ein großes Geschenk.

Das ist unsere Motivation. 

Silvia Grießl und Andreas Giannakidis