Betrachtung des Kreuzes

Die Katholische Kirche Tübingen hat sich als Emblem für ihr Erscheinungsbild ein Kreuz ausgesucht. Was liegt näher für die Kirche. Freilich hat das Kreuz in 2000 Jahren Kirchengeschichte vom antiken Galgen bis zum triumphalistischen Machtsymbol so ziemlich alle denkbaren Bedeutungen angenommen. Trotzdem erweist sich die Geschichte des schmachvoll Gekreuzigten, den der Tod nicht halten konnte, immer wieder als eine Inspiration für Menschen in ganz unterschiedlichen persönlichen und gesellschaftlichen Situationen. Oft spiegeln sich diese Situationen in der Form, die Menschen ihren Kreuzen geben.

Auf den ersten Blick zeigt das Tübinger Kreuz eine positive „Aus-Strahlung“: Wie Lichtbündel weisen seine Arme nach außen und symbolisieren die christliche Grundüberzeugung, dass der Tod des Gekreuzigten vor 2000 Jahren paradoxerweise die Verheißung eines Lebens enthält, das über den Tod hinaus reicht und deshalb allem endlichen Leben eine Spur aus der Vergeblichkeit zeigt. Es ist diese Überzeugung, so zerbrechlich sie mitunter auch sein mag, die Christen aller Konfessionen miteinander verbindet.
Schaut man das Tübinger Kreuz nun eine Weile an, dann dreht sich die Dynamik um. Der Blick wird von außen ins Zentrum hinein gezogen. Das Kreuz ist in seiner Bedeutung eben nicht mehr selbstverständlich; wo es Blicke auf sich zieht, da sind es fragende Blicke. Was bedeutet es? Ist die christliche Grundüberzeugung tragfähig? Ist da überhaupt etwas? Und in der Tat stößt der Blick, der sich ziehen läßt, auf – Nichts! Weder findet er einen Ruhepunkt in der konkreten Figur des Gekreuzigten noch in der abstrakten Kreuzung der Balken, er versinkt in einer Leerstelle. Gott ist fraglich geworden. Das Kreuz als kulturelles Zeichen ist gerade nicht mehr die selbstverständliche Verbürgung seiner Gegenwart. Mit dieser Leerstelle ist das Tübinger Kreuz dann aber in der Tat ein „Zeichen der Zeit“. Die Skepsis, auf die kirchliche Religiosität zunehmend stößt, hat wohl auch damit zu tun, dass wir zu viele Bilder haben. Die Augen der Menschen sind all der Bilder vom gütigen oder strafenden Gott, vom alten Mann mit Rauschebart, von Vater, Sohn und der Taube müde geworden; sie ahnen, dass sich hier ein großer Religionsbetrieb mit seinen Bildern über dem Eigentlichen, über der Mitte breit gemacht hat. Zuviel Geschwätz, auch in den Kirchen, übertönt das Wort, das Menschen ansprechen könnte.

Es ist gut, dass das Tübinger Kreuz eine Leerstelle lässt, dass das Geheimnis Gottes, die Unmöglichkeit, ihn darzustellen oder auszusagen, hier einen Ausdruck findet. So symbolisiert das Tübinger Kreuz das, was es immer sein wollte, ein Ort, an dem Gott vorkommt, geheimnisvoll, der Vereinnahmung widerstehend.

Prof. Dr. Thomas Fliethmann

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Kirche muss erkennbar sein

Das Gesicht von Kirche verändert sich. Ein Grund dafür ist, dass sie in den letzten fünfzig Jahren (nicht nur in Deutschland) damit zu kämpfen hat, dass zunehmend weniger Priester und andere Hauptberufliche für Kirche stehen und ihr Gesicht mit ihrer Person prägen. Darüber hinaus haben sich die Bedürfnisse der Menschen verändert, sind individueller geworden. Mit dieser Veränderung umzugehen, ist eine Herausforderung sowohl für die Gemeinden, als auch für die hauptberuflichen kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn es um Öffentlich- keitsarbeit geht, müssen also Mittel gesucht werden, mit deren Hilfe die Identität von Kirche sichtbar gemacht werden kann, damit sie eine erkennbare Größe in der Gesellschaft bleibt, während gleichzeitig kirchliches Leben kein Selbstläufer mehr ist - wenn es denn je einer war.

Einheit in Verschiedenheit

Die Kirchengemeinde ist für viele, die kirchliches Leben wesentlich mitgestalten, ein Ort der Identifikation und Beheimatung. Auf der anderen Seite ist klar: Kirchliche Orte und Zuordnungen müssen sich in dieser Umbruchsituation neu sortieren. Nicht mehr jede Kirchengemeinde kann alle Facetten des kirchlichen Lebens für alle Zielgruppen anbieten. Darüber hinaus findet Kirche eben nicht (mehr) allein in Kirchen bzw. in Kirchengemeinden statt. „Seelsorge“ und kirchliches Handeln in diesen anderen gesellschaftlichen Räumen, wie der Stadtteil- oder der Flüchtlingsarbeit, braucht auch andere Kommunikationsformen. Denn nicht nur kirchliches Leben verändert sich, sondern auch die Gewohnheiten, Informationen wahrzunehmen. Das alles unter einen Hut zu bringen ist nicht einfach. Ein gemeinsames Erscheinungsbild, das in den medialen Kanälen und Zielgruppen eine Unterscheidung möglich macht, ist dabei hilfreich. Es macht deutlich, dass es – bei aller Verschiedenheit, bei allen unterschiedlichen Bedürfnissen, bei aller unterschiedlicher Nähe zur Kirche oder Beheimatung in einer Kirchengemeinde – um ein Ganzes geht, um etwas, das zueinander in Beziehung steht. Für den Großteil der sich als Christen verstehenden Menschen in Tübingen, auch der Katholiken, ist nicht der Umstand wichtig, dass es eine bestimmte Kirchengemeinde gibt, sondern dass es eine Kirche gibt, deren Angebot sie wahrnehmen können, oder die für sie in bestimmten Situationen ihres Lebens (Sorge, Freude oder Trauer) erreichbar ist. Eine klare Erkennbarkeit ist dabei fast genauso wichtig, wie eine gute Erreichbarkeit.

Wo Kirche drin ist, da steht auch Kirche drauf

Kirche findet nicht nur in der Kirche statt. Aber viele wissen nicht, dass auch anderes kirchliches Handeln Kirche ist. Anfang der Zweitausenderjahre fördert eine Umfrage in Stuttgart zur Arbeit der Caritas zu Tage: Mehr als zwei Drittel der Befragten sahen keinen Zusammenhang zwischen Caritas und Katholischer Kirche. Auf Grund ihrer oft schwierigen Geschichte und Erfahrungen mit einem falschen Missionsverständnis, kam es in Feldern kirchlichen Handels immer wieder vor, dass verschämt ohne Nennung von Kirche gehandelt wurde, um nicht von dem negativen Image von Kirche beeinträchtigt zu werden. Hier beginnt ein Umdenken. Und dabei hilft ein gemeinsames Erscheinungsbild oder – im Marketing – Corporate Design (CD), das die Wiedererkennbarkeit des Zusammengehörenden in unterschiedlichen Kontexten ermöglicht. Ein solches CD transportiert, was den Kern der „Marke“ oder Institution ausmacht. Ein kirchliches CD ist also kein Selbstzweck, es dient vielmehr dazu, die Botschaft von Kirche zu unterstützen und erkennbar machen. Damit kann kirchliches Handeln in einer medialen Welt sichtbar werden. Für Kirche besteht darin aber auch eine große Herausforderung, denn zum „Markenkern“ gehört auf der Grundlage biblischer Verkündigung etwas, was man mit den Worten „Bescheidenheit“ und „Unaufdringlichkeit“ umschreiben könnte: zu handeln, ohne groß darüber zu reden.
Wenn Kirche und kirchliche Angebote in einer stark durch Medien geprägten Welt präsent gehalten werden soll, bedeutet dies auf dem Feld des Marketing Anstrengungen zu unternehmen. Dazu gehört ein professionelles Erscheinungsbild, das alle Aktivitäten der Institution für die Öffentlichkeit zusammenfasst, hier die katholischen Kirchengemeinden und die caritativen Einrichtungen der Katholischen Kirche Tübingen. Eine transparente und gute Kommunikation und Vernetzung kirchlicher Angebote kann ein wesentlicher Beitrag sein, den Wandel von Kirche mitzugestalten.

Stefan Müller-Guggemos, Dekanatsreferent

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Gestaltung

Die Gesamtkirchengemeinde Tübingen hat uns als Bachgasse, Büro für Gestaltung, Bertele/Neff, beauftragt ein neues Erscheinungsbild für die katholische Kirche Tübingen zu erstellen.
Wir kamen dieser spannenden Herausforderung gerne nach und stellen Ihnen an dieser Stelle das Ergebnis des Gestaltungsprozesses vor.

Von der katholischen Kirche erhielten wir eine detaillierte Auftragsbeschreibung. Wir bündeln diese hier zu sieben Punkten, die die Essenz der Wünsche des Auftraggebers formulieren.

  1. Die katholische Kirche Tübingen soll als Gemeinschaft aller Katholik*innen in Tübingen wahrgenommen werden; sowohl als großes Ganzes als auch als jeweilige Kirchengemeinde, sowohl die individuellen Personen als auch die Institution insgesamt.
     
  2. Wichtig hierbei ist, dass die einzelnen Orts- gemeinden ihre unterschiedlichen Identitäten bewahren und als solche auch sichtbar sind.
     
  3. Zentrum im Glauben / Wurzeln im Evangelium.
     
  4. Sechs Ortsgemeinden, eine Kirche.
     
  5. Charismen zum Strahlen bringen.
     
  6. Gemeinsames Gesicht mit unterschiedlichen Nuancen.
     
  7. In der Wort-Bildmarke muss ein Kreuz auftauchen.

Auf dieser Basis ist das neue Erscheinungsbild entstanden. Es ergibt sich aus drei unterschiedlichen Bereichen, die ich Ihnen getrennt erläutern möchte: Form, Schrift, Farbe.

Der erste Bereich ist die Form. Aus zweierlei Gründen wurde das Kreuz als Form gewählt: als Kern und Zentrum christlicher Symbolik und als einer der sieben Wünsche des Auftragsgeber. Aufgabe war nun, ein Kreuz zu entwickeln, das klar als solches erkennbar bleibt, in seiner Form darüber hinaus neu und kraftvoll erscheint. Die Punkte 3 und 5 der Auftragsbeschreibung schienen uns hierbei hilfreich und wir fassten sie zusammen zu „Strahlen um einen Mittelpunkt“. Die Grundform des Kreuzes ist gleichschenklig, kann also auch als Pluszeichen gelesen werden. Ein Symbol, das mit vielen positiven Assoziationen in Verbindung gebracht werden kann. Eine Kreuzform die neu und doch bekannt ist, die aus einer leeren Mitte kraftvoll nach außen geht und gleichzeitig von außen nach innen führt. Die Mitte scheint leer und gleichzeitig doch voller Energie zu stecken.

Als zweiter Bereich erläutern wir an dieser Stelle die Typografie, die Schrift des neuen Erscheinungsbildes. Wir haben uns hier an der Diözese Rottenburg-Stuttgart orientiert und deren verwendete Hausschrift, die „Frutiger“ übernommen. Adrian Frutiger war ein Schweizer Typograf und hat diese Schrift im Jahr 1975 entworfen. Eine klare Antiquaschrift, die in ihrer Formensprache wenig emotionalisiert und somit ein gutes, visuelles Gegengewicht zur organischen Form des Kreuzes darstellt. Die Entscheidung unterstreicht die Zugehörigkeit zur Diözese Rottenburg-Stuttgart und visualisiert diese.