HeiligsBlättle 2/21
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Nie wieder Flut?! Von liturgischen Reflexen auf die Ambivalenzen biblischer Wassermotivik

In vielen Texten begegnet einem in der christlichen Liturgie das Element des Wassers. Dabei verbindet sich die kulturelle „Basissymbolik“ (H-J Höhn) eines alltagsweltlichen Elements mit religiösen Bedeutungszuschreibungen. Wasser funktioniert hier als Symbol, das etwas anderes bezeichnen kann bzw. soll, als das, was man zunächst damit in Verbindung bringt. Was dieses „Andere“ genau ist, steht aber nicht von vornherein fest. Umberto Eco spricht von einem „Nebel möglicher Interpretationen“: „Das Symbol sagt, daß es etwas gibt, was es sagen könnte, aber dieses Etwas kann nicht ein für alle Mal und deutlich buchstabiert werden, denn sonst würde das Symbol aufhören, es zu sagen.“ Solange ritueller Gottesdienst gefeiert wird, bleiben die dafür grundlegenden Symbole lebendig, weil sie von konkreten Menschen mit ihren jeweiligen Lebensgeschichten erfahren werden. Und dennoch gibt es hier einen Rahmen, der Deutungen nahelegt; und dieser Rahmen wird vor allem durch die biblischen Texte und ihre vielfältigen Auslegungen gesetzt. Insofern lässt sich auch das biblisch-christliche Verständnis von Wasser bzw. von dessen entsprechender Verwendung nicht durch eine bestimmte Erklärung quasi ‚erledigen‘. Aber der „Nebel möglicher Interpretationen“ lässt sich immer wieder neu lichten, indem auf biblische Texte geschaut wird, die unerlässlich dafür sind, dass dieses Symbol zur wirksamen Erfahrung werden kann.

Der Osterfestkreis liefert hierzu eine Fülle an Zugängen, und natürlich liegt das nicht zuletzt daran, dass sich schon früh in der Christentumsgeschichte die Osternacht als wichtigster Termin für die Taufe „aus Wasser und Geist“ herausgebildet hat. In diesem Jahr hat die Leseordnung zusätzlich eine besondere ‚Steilvorlage‘ schon am 1. Fastensonntag geliefert: Die erste Lesung aus dem Buch Genesis (Gen 9,8-15) und die zweite Lesung aus dem Ersten Petrusbrief (1 Petr 3,18-22) heben mit Bezug auf die Sintfluterzählung die Ambivalenz des Wassers hervor und setzen sie in Beziehung zu dem, was in der Taufe und einem Leben aus der Taufe zu erfahren ist: Das Wasser steht als Symbol für den Uranfang alles dessen, was ist, für das Hervorbringen; aber ebenso ist das Wasser Symbol dafür, dass individuelles Leben wie der Kosmos dem Vergehen, dem Tod geweiht sind. In „Lobpreis und Anrufung Gottes über dem Wasser“ in der Tauffeier der Osternacht heißt es dementsprechend: „Auf vielfache Weise hast du das Wasser dafür bereitet, auf die Taufe hinzuweisen. Schon im Anfang der Schöpfung schwebte dein Geist über den Wassern, um ihnen heiligende Kraft zu geben. In den Wassern der Sintflut hast du unsere Taufe vorgebildet, da sie den alten Menschen vernichtet, um neues Leben zu wecken.“ In der Folge werden von dieser Grundlage her weitere biblische Paradigmen aufgerufen, nicht zuletzt der Durchzug Israels durch das Schilfmeer. Entstehen und Vergehen des Lebens und allen Seins: Sie sind über das Symbol des Wassers präsent im christlichen rituellen Gottesdienst. Damit ist ein solcher Gottesdienst gerade in der Zeit einer Pandemie hochgradig aktuell, weil er nichts von der durchgängigen Fragilität des Daseins, von Angst, Sorge und Zweifel leugnet oder die Feiernden vordergründig vertröstet; aber die gesamtbiblisch begründete, österliche Erfahrung, die dabei als Möglichkeit eröffnet wird, ist, dass Gott seines Bundes unverbrüchlich treu gedenkt, des Bundes, von dem er in Gen 9,15 selbst sagt: Er „besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch, und das Was-ser wird nie wieder zur Flut werden, die alle Wesen aus Fleisch verdirbt.“

Prof. Dr. Stephan Winter, Liturgiewissenschaft Uni Tübingen

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Die tödliche Grenze

Wasser gilt als die Quelle allen Lebens. Kein Organismus auf der Erde kann ohne Wasser überleben. Menschen brauchen es, wie sie Sauerstoff brauchen. Wo Wasser fehlt, ist lebensfeindliche Wüste.

Doch Wasser hat auch eine andere, schlimme Seite: So, wie es Leben erhält, kann es auch den Tod bringen. In Deutschland sterben jedes Jahr durchschnittlich 500 Menschen durch Ertrinken. In den meisten Fällen sind es Badeunfälle, manchmal passiert es sogar in der Badewanne: Freizeit, Spaß, Lebensfreude – und dann ein jähes Ende. Wasser kommt in die Lunge, es kann kein Sauerstoff mehr aufgenommen werden, die Atmung stockt, selbst um Hilfe schreien ist nicht mehr möglich. Binnen ein, zwei Minuten ist das Leben vorbei.

Wasser ist eine Naturgewalt. Ich bin an der Nordseeküste aufgewachsen und erinnere mich gut an schwere Sturmfluten im Winter. Der Meeresspiegel steigt, das Wasser kann bei Ebbe nicht abfließen, die nächste Flut bringt noch mehr Wasser. Der Deich bricht, Land wird überflutet, Häuser weggerissen, Menschen und Tiere müssen sterben. Wohl jeder erinnert sich an den Tsunami an Weihnachten 2004, ein Seebeben, dessen Flutwelle rund 230.000 Menschen an den Küsten des Indischen Ozeans das Leben kostete und weitere 1,7 Millionen Menschen obdachlos machte. Die zerstörerische Kraft des Wassers zeigt sich nicht nur am Ufer der Weltmeere. Wenn der Neckar Hochwasser führt, wenn zur Schneeschmelze starker Regen hinzukommt, ist sie auch bei uns spürbar. Kleine Bäche wie der Katzenbach werden in Minuten zu reißenden Strömen, Straßen werden überflutet, Keller laufen voll. Da hat Wasser nichts mehr vom lebensspendenden Nass.

Wasser bildet Grenzen. Seit je her teilen Flüsse das Land – Hindernisse, die ohne Hilfsmittel oft unüberwindlich sind. Es ist buchstäblich natürlich, dass Flüsse bis heute oft die Grenze zwischen Ländern und Regionen; Kreisen und Städten bilden. Ganz zu schweigen von den Meeren: Sie trennen Kontinente, die andere Seite ist nicht einmal zu sehen. 

Schon immer haben Menschen versucht, diese Grenzen zu überwinden. Sie haben Brücken gebaut, mit denen sich Flüsse gefahrlos überqueren lassen. Anfangs mögen es kleine Stege gewesen sein, später trugen sie Tiere und Wagen. Heute schafft moderne Technik Bauwerke, die selbst Meeresarme kilometerweit überspannen. Und es geht nicht nur durch die Luft: Auch Tunnel unter breiten Strömen oder etwa dem Ärmelkanal sind heute selbstverständlich.

Doch nicht nur statische Bauwerke überwinden die Grenzen, die Wasser schafft: Boote und Schiffe werden ebenfalls seit Jahrtausenden benutzt. Auch dort reicht die Spannbreite vom einfachen Floß bis zu modernen Hochseeschiffen. Schiffe waren sogar die einzige Möglichkeit, das Meer zu erobern und zu überwinden. Mit ihnen konnte man Antwort suchen auf die Frage, was eigentlich hinter dem Horizont ist. So wurde der Atlantik überwunden und Amerika Teil der bekannten Welt.

Wasser als Grenze hat dank heutiger Technik eigentlich eher historische Bedeutung – sollte man meinen. Doch für viele Menschen auf dieser Welt gilt das nicht. Menschen, die aus Afrika oder Asien nach Europa fliehen auf der Suche nach einem sicheren und freien Leben, bekommen die archaische Grausamkeit der nassen Grenze wieder zu spüren: Allein im Mittelmeer sind seit 2015 mehr als 20.000 Menschen ertrunken bei ihrem Versuch, Europa zu erreichen. Und das sind nur die, von denen man sicher weiß: weil ihre Leichen gefunden wurden oder weil man weiß, dass sie abgefahren sind – und nie irgendwo ankamen. Deshalb nennen die Vereinten Nationen das Mittelmeer die „tödlichste Grenze der Welt“.

Ich bin seit meiner Jugend am Meer der Seefahrt verbunden, verbringe viel Freizeit auf Segelyachten und bilde auch in Tübingen angehende Skipper aus. Seit fünf Jahren engagiere ich mich auf den Schiffen deutscher Vereine in der Rettung Flüchtender aus Seenot im zentralen Mittelmeer. Tausende Menschen konnten wir aus ihren seeuntauglichen Booten retten, manche leider auch nicht mehr. In Gesprächen mit diesen armen Seelen habe ich eine Ahnung davon bekommen, was sie auf das offene Meer treibt, wohl wissend, wie groß das Risiko ist: Es sind Krieg, Folter, Verfolgung, Hunger, Perspektivlosigkeit. Es ist ein Erleben – besonders in den Folterlagern Libyens –, das sogar das Risiko des nassen Todes zur besseren Option macht. 

Für mich ist das Schlimmste daran, dass Europa Wasser als Grenze wieder reaktiviert. Es werden keine Brücken gebaut – im Gegenteil, die Politik tut alles, um Hilfsschiffe zu behindern. Staatliche Seenotrettung ignoriert die Menschen in den Booten immer öfter und überlässt sie ihrem Schicksal. An den Grenzen zu Kroatien oder Bulgarien werden Flüsse wieder zum unüberwindlichen Hindernis gemacht, in Griechenland schleppen Grenzbeamte Menschen, die es schon nach Europa geschafft haben, auf kleinen Flößen wieder zurück auf das Meer. 

Die Bibel erzählt, dass Gott das Meer teilte, damit Moses mit dem Volk Israel den Verfolgern aus Ägypten entkommen und in das gelobte Land ziehen konnte. Manchmal wünsche ich mir, dieses Wunder möge sich heute wiederholen. Aber halt: Wir haben uns die Erde doch schon soweit untertan gemacht, dass wir Gottes Hilfe nicht mehr brauchen, um dem Wasser seinen tödlichen Schrecken zu nehmen. Es wäre so einfach, Brücken zu bauen – statt Mauern und Stacheldraht. Wir müssen es nur tun.

Friedhold Ulonska, Seenot-Kapitän 

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Kostbares Nass

Wasser ist in Ländern des Südens zentrales Thema, auf das auch der Konsum im Norden Einfluss hat

Rote Erde steigt in einer trockenen Staubwolke in die Höhe. Neben der riesigen Maschine in Gelb und Rostbraun steht Pater Alois und überwacht die Bohrung. Irgendwo tief unter der ausgedorrten Erde gibt es Wasser, lebensspendendes Element, das hier im brasilianischen Mato Grosso dringend gebraucht wird. Über 200 Brunnen hat Pater Alois Würstle in den abgelegenen Regionen von Campo Grande im Süden Brasiliens im Lauf vieler Jahre mit gebaut. Wasser für die Boro- und Xavante-Indigenen, die in einfachen Dörfern weit von der nächsten Stadt leben. Trockenheit zeichnet die Gegend aus: „Mato Grosso steht in Flammen, sie haben jeden Tag um 40 Grad Hitze. Die Indigenen flehen nach Wasser“, schrieb Pater Alois in einem seiner Briefe an die Hauptabteilung Weltkirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Dazu kam das Coronavirus. „Ohne Wasser ist Hygiene ja schon ein grundsätzliches Problem“, so der Salesianer Don Boscos. Mit einer finanziellen Förderung der Materialkosten hat die Diözese deshalb den Bau von fünf weiteren Brunnen in Dörfern der Boro- und Xavante-Indigenen unterstützt. 

Das Virus und die weltweite Pandemie machen wie unter einem Brennglas noch einmal dramatisch deutlich, wie wichtig sauberes und sicheres Wasser für das menschliche Überleben ist. Weltweit haben 2,2 Milliarden Menschen keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser, nach einer Studie der UN-Gesundheitsorganisation WHO verfügen rund 785 Millionen Menschen noch nicht einmal über eine Grundversorgung. Das ist nicht nur in Zeiten einer Pandemie fatal: Jedes Jahr sterben weltweit rund 360.000 Kinder unter fünf Jahren an Durchfall, weil sie verschmutztes Wasser getrunken haben. Der Klimawandel mit zunehmenden Trockenperioden, aber auch Abholzung von Wäldern, zu intensive Landwirtschaft, Umweltverschmutzung und sinkende Grundwasserspiegel sind nur einige der Herausforderungen.

Wasser ist auch in den Städten ein zentrales Thema: In Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt, zieht es die Menschen vom Land in die urbanen Zentren. Die Hauptstadt Ouagadougou hat inzwischen rund zwei Millionen Einwohner, viele von ihnen arme Landflüchtlinge, die in informellen Siedlungen am Stadtrand leben. Im Süden der Hauptstadt, in Tengandogo, entstand 2019 eine neue Pfarrei für die rund 20.000 Christinnen und Christen in diesem Stadtteil. Die Gemeinde liegt in einem armen Außenbezirk, eine Wasserversorgung gibt es nicht. „Das Ausheben eines Brunnens ist deshalb ein Notfall vor allen anderen Infrastrukturprojekten“, so der Pallottiner Pater Stanislas Filipek. „Wasser dient den Gläubigen zum Aufbau und für neues Leben“, schrieb er in seinem Antrag für dieses Projekt an die Hauptabteilung Weltkirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart. 

Die neue Gemeinde in Tengandogo liegt auf einem Hügel, es musste also bis zu 100 Meter tief gegraben werden. Eine Pumpe, die mit Solarenergie betrieben wird, fördert das wertvolle Nass aus der Tiefe. Vorsorglich haben die Pallottiner entsprechende Tanks mit eingeplant, die auch in Zeiten größerer Nachfrage, wenn der Brunnen nicht genügend Wasser bieten kann, einen Vorrat als Reserve bereit halten.  So ist der Grundstein für neues Leben in der Pfarrei gelegt: Pater Stanislas Filipek plant nun weitere Aktivitäten zu Bildung oder Gesundheit, wo der Bedarf entsprechend groß ist. Der neue Brunnen soll darüber hinaus nicht nur den Gemeindemitgliedern der eigenen Pfarrei dienen, sondern auch den Menschen in der Umgebung. 

Pater Alois und Pater Filipek sind mit ihren Brunnen zwei hoffnungsvolle Beispiele aus weltkirchlichen Projekten der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit. Wasser ist aber nicht nur weit weg in Brasilien und Burkina Faso ein Thema, sondern hat auch sehr direkt etwas mit unserem Lebensstil zu tun: So sind beispielsweise für die Produktion von einem Kilo Baumwolle rund 20.000 Liter Wasser notwendig. Oder: Chemikalien für hier getragene Lederschuhe verschmutzen die Flüsse um die Gerbereien in Indien. In Produkten für den Konsum hier bei uns steckt dieses „virtuelle Wasser“, das unsichtbar für uns auf dem Weg der Herstellung in Ländern des globalen Südens mit verbraucht wird. Umdenken und gute Ideen in Nord und Süd sind also notwendig, um Wasser für alle Menschen auch künftig zu sichern. 

Zu den guten Ideen für eine erfrischende Zukunft gehören neue Konzepte für die Mikrobewässerung in der Landwirtschaft, Anlagen zur Wasseraufbereitung, kluge Wasserspeicher, sanitäre Einrichtungen und moderne Wasserleitungen, aus denen das kostbare Nass nicht einfach im Boden versickert. Pater Alois Würstle, der im Herbst 1957, nach dem Noviziat im Kloster Ensdorf, nach Brasilien ging, hat neben den vielen Brunnen und Bauprojekten eben solch eine gute, innovative Idee verwirklicht: Er ist der Erfinder der sogenannten Schaukelpumpe, die von der Banco do Brasil als Soziale Technik gewürdigt und gemeinnützig anerkannt wurde. Statt mühsamer Handarbeit können die Kinder beim Schaukeln Wasser aus den tiefen Brunnen pumpen, so dass sie ganz spielerisch zu wichtigen Helfern in der Dorfgemeinschaft werden.

Sylvia Hank, Referentin Faire Gemeinde und ökofaire Beschaffung, Hauptabteilung Weltkirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart