HeiligsBlättle 1/21
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Was macht Corona mit uns?

„Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen.“ Je länger die Pandemie andauert, umso mehr Gewicht bekommt dieser frühe Satz von Jens Spahn. Denn trotz aller Hoffnung auf Impfungen und Sommererleichterung geht es so langsam an die Substanz. Für einige finanziell, wenn der Lockdown die Einkommensmöglichkeiten einfriert und womöglich bald ganz zerstört. Für andere noch existenzieller, wenn Freund:innen oder Angehörige schwer erkanken oder im Zusammenhang mit Corona sterben. Für die meisten aber mental, durch bleibende Ungewissheit, den nervenzehrenden Streß von Homeschooling/Homeoffice und das Wegbrechen tragender (Alltags)Routinen. Sogar an Weihnachten war jede einzelne Aktion zur individuellen Risikoabwägung geworden. Es wird wohl erst noch offenbar, was diese Pandemie uns und der globalen Weltgemeinschaft gekostet haben wird. Bei all dem ist der christliche Zugang zur Welt aber nicht apokalyptisch, sondern realistisch geprägt. Im Horizont des Evangeliums muss man weder die faktischen Gefahren leugnen, noch die ebenso sichtbaren Bewältigungsressourcen in der Krise. Es ist ein Segen, dass die biotechnologische Entwicklung innerhalb weniger Monate aussichtsreichen Impfstoff herstellen kann. Viele Regionen der Erde haben doch einen vernünftigen und Menschenleben schützenden Umgang mit der Krise gefunden (auch wenn sich hier wie bei der Impfstoffverteilung gravierende globale Macht- und Ungerechtigkeitsverhältnisse zeigen). Und dank der viel gescholtenen digitalen Technologien bleiben zumindest einige Aspekte des sozialen, kulturellen und beruflichen Miteinanders weiter möglich.

Das gilt ganz ähnlich für das kirchliche Leben. Es ist gut und wichtig, dass sich die verfassten Kirchen am zivilisatorischen Grundkonsens der Pandemiebekämpfung samt ihren Einschränkungen beteiligen. Zugleich verschiebt sich damit die gelebte Wirklichkeit von Kirche hin zur oft nur im Kleinen sichtbaren Selbstermächtigung von Christ:innen in dem, worauf sie hoffen, was sie in Familie und Freundeskreis feiern und im Lockdown-Leben bezeugen. Jugendliche treffen sich per Videokonferenz zu Freizeitaktionen, aber auch für Gottesdienste („Wo zwei oder drei in meinem Namen streamen, da streame ich mitten unter ihnen“). Gemeindliche Orte koordinieren so gut es geht Alltagshilfen und Seelsorge, aber mit Distanz oder auf viele Weisen digital. Und die sozialen Einrichtungen von Caritas und Diakonie werden zu Verdichtungsorten zwischen (Über-)Leben und Einsamkeitsmanagements im Risiko der Nächstenliebe. 

Das Virus offenbart eine abgründige Ereignishaftigkeit der Welt: Das Unverfügbare kommt zurück und erinnert daran, dass nicht Ordnung und starre Unerschütterlichkeit das Geschäft des Glaubens sind, sondern Hoffnung und Vertrauen angesichts menschlicher Verletzbarkeit. Wir alle erfahren dabei gerade, wie sehr jede/r Einzelne existenziell auf andere angewiesen ist. Die Tränen aus den überlasteten Intensivstationen mit der unerträglichen Tragik von Triage und einsamer Tode fließen neben den Tränen der Dankbarkeit jener, die ihr Leben dem Pflegepersonal verdanken. Ob sie ineinanderfließen bleibt angesichts der Singuarität jedes einzelnen Schmerzes zwar offen. Aber beide machen eine Fragilität des Lebens sichtbar, welches wir im letzten nicht völlig in der Hand haben. Viele in Kirche und Theologie merken da gerade, wie unpassend die großen Bilder Gottes vom Richter, Retter und Weltenlenker geworden sind. Die Spuren Gottes ereignen sich im diskreten Dazwischen, im solidarischen Hoffen und Beten, in Dynamiken grenzüberschreitender Solidarität. Gott wird wohl für uns nach der globalen Pandemie nicht mehr ganz der/dieselbe sein – und Kirche auch nicht. 

Prof. Dr. Michael Schüßler, Lehrstuhlinhaber Praktische Theologie

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Meine AHA-Erlebnisse als Pastoralreferentin

Keine Frage: Die Pandemie hat die kirchliche Arbeit verändert. Meine Erfahrungen schwanken zwischen Frust und Lust. Es ist, als ob ich in einem Auto sitze mit stotterndem Motor, mal im Vorwärts-, mal im Rückwärtsgang fahrend. Was heute mit großem Aufwand geplant wird, kann morgen schon umgeworfen werden. Die Lage erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Kreativität: Nach den Sommerferien habern wir z.B. mit 80 Jugendlichen statt zwei Firmgottesdienste zehn Gottesdienste gefeiert. Dreimal schon haben wir Konzepte für einen Firmstart mit dem neuen Jahrgang entwickelt. Dreimal wurden sie wegen der aktuellen Lage über den Haufen geworfen. Familien- und Kindergottesdienste wurden als Stationenwege für drinnen und draußen organisiert. Z.B. in Kilchberg einen Paulusweg, einen Einschulungsgottesdienst in St. Michael, einen Martinsweg durch Bühl und einen Nikolausweg in St. Johannes. Zu meinen positiven AHA-Erlebnissen gehören das hohe Engagement der Ehrenamtlichen, das Experimentieren mit neuen Gottesdienstformen, das Einüben von digitalen Kommunikationsstrukturen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass davon einiges bleibt. 

Katharina Lohmüller

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Wo ist das Weihwasser?

Rituale stiften Gemeinschaft. Rituale verbinden Menschen über politische, kulturelle, ethnische Grenzen hinweg. Rituale ermöglichen Einheit in der Vielfalt. Die soziologische und ethnologische Ritualforschung betont in schöner Einmütigkeit, wie in allen Gesellschaften und historischen Phasen durch rituelle Praxis Zusammenhalt gesichert wird. Unsere Kirche hat immer noch einen reichen Schatz an Ritualen, den wir mal besser, mal schlechter ‚verwalten‘. Vielleicht gäbe es nicht so viel Spaltung und Flügelkämpfe in der Kirche, wenn wir die einigende Kraft von Ritualen nicht vernachlässigt hätten. Das Kreuzzeichen gehört zu den Basis-Ritualen unserer Religion. Wenn wir in eine katholische Kirche gehen, das Weihwasser nehmen und das Kreuzzeichen machen, treten wir ein in einen spirituellen Raum, wir überschreiten die Grenze zwischen draußen und drinnen, zwischen dem Profanen und dem Heiligen. Und wir spüren, dass mit dem Weihwasser, das an unsere Taufe erinnert, eine Reinigung verbunden ist. Wenn wir die Kirche betreten, um gleich die Messe mitzufeiern, wird dies im Schuldbekenntnis fortgeführt. Nun müssen wir in Zeiten der Pandemie überall, wo wir öffentliche Räume betreten, uns auf andere – man sollte wohl nicht sagen: konkretere – Weise reinigen: Wir müssen die Hände desinfizieren, um zu verhindern, dass wir Viren hineintragen und Menschen gefährden. So komisch das erscheinen mag: Vielleicht kann diese von der Krise uns aufgezwungene, fast schon zur Gewohnheit gewordene Pflicht uns auch einen neuen Blick auf Weihwasser und Kreuzzeichen geben. Es ist kein ‚leeres Ritual‘,
es geht um unsere ganze Existenz und um die Teilhabe an etwas, das über die Geschäftigkeit des Alltags weit hinausführt. Und gerade in diesen Zeiten müssen wir auf dieses Ritual verzichten. Prof. Dr. Georg Braungart

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Worte in die Dunkelheit 

Ein Bekannter von mir ist an Corona verstorben. Zwei Wochen zuvor war er noch Ski laufen. Er war kaum älter als ich und hinterlässt seine Frau und zwei Schulkinder. Ende März 2020 sitze ich alleine in unserer St. Petrus Kirche und spreche über seinen Tod. Auch über den Lockdown und über die Einsamkeit und die Angst vieler Menschen spreche ich, die Angst vor dieser Krankheit und vor dem, was da auf uns zukommt. Meine Worte spreche ich hin-ein in die Dunkelheit einer schwarzen Kameralinse hinein. 

Es sind unwirkliche Wochen zu Beginn der Pandemie. Gottesdienste werden abgesagt, das Ge-meindeleben kommt zum Erliegen, jeder zieht sich in sein Heim zurück. Und doch sehen wir sofort: Da draußen sind Menschen, die jetzt unsicher und alleine sind, die vielleicht auch ängstlich sind und viele, die einsam sind. Für sie wollen wir da sein. So initiieren wir in St. Petrus einen Video Kanal und senden Worte der Hoffnung und der Zuversicht „Live aus der Ellipse“. So lautet das Motto unseres Kanals, dessen Videos in unserer Kirche mit ihrer elliptischen Bestuhlung entstehen. Schnell aber wächst in uns der Wunsch, unserem persönlichen Alleinsein mehr Gemeinschaft entgegen zu setzen. In den nächsten Wochen entstehen knapp 30 Videos mit Impulsen, gestaltet von Frauen und Männern aus sieben verschiedenen christlichen Gemeinden in Tübingen. Persönliches, Spirituelles, Musik, Bibelauslegungen und Bildbetrachtungen, die Kreativität unserer Beiträge ist dabei so vielfältig, wie das christliche Leben unserer Stadt. Über Gemeindegrenzen hinweg senden Laien und Hauptamtliche gemeinsam die Botschaft in unsere Gemeinden: „Wir sind weiter füreinander da.“Auf völlig neue Art haben wir so im Lockdown ökumenische Gemeinschaft möglich gemacht. Und auch wenn ein Video nicht die persönliche Begegnung und ein zugewandtes Wort ersetzen kann, so bieten die technischen Möglichkeiten doch mehr für die Kommunikation in der Gemeinde, als wir bislang genutzt hatten. Hoffen wir, dass diese Erfahrung auch über die Pandemie hinaus bleibt, und wir künftig auf vielen Kanälen miteinander kommunizieren, in der Gemeinde und mit unseren zahlreichen Nachbargemeinden. Detlef Laub, St. Petrus

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Nähe und Verbundenheit: Hauskommunion

„Es ist Sonntag. Kein Gottesdienstbesuch wie sonst. Ich zähle zur Risikogruppe, könnte mich anstecken. Den Gottesdienst vermisse ich. Ebenso die Begegnung mit Menschen aus der Gemeinde, die Gemeinschaft. Ich fühle mich wie abgeschnitten. Plötzlich läutet es an der Haustüre. Mein Mann öffnet und ruft mich. Vor uns steht jemand aus der Gemeinde. Mund und Nase sind mit einer Maske geschützt. Fragt,
wie es mir und uns ginge. Bestellt Grüße aus der Gemeinde, sagt, dass sie besonders an mich denken und für mich beten. Und übergibt in einem verschlossenen Kuvert die Kommunion. Ich bin gerührt. Drinnen öffne ich das Kuvert, die Kommunion ist liebevoll eingepackt. Wir werden mit einem beigelegten liturgischen Text eingeladen, Hausgottesdienst zu feiern. In meiner Situation der Krankheit gibt mir das Kraft und Halt. Und ich freue mich auf den nächsten Sonntag, den Besuch aus unserer Gemeinde.“

Ein Zeugnis aus St. Petrus, aufgeschrieben von Karl-Heinz Röll

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Ich genieße aktuell…

… ein herrlich entschleunigtes Leben und bin sehr viel an der frischen Luft. Radfahren, Spazieren gehen, Joggen sind neue Möglichkeiten geworden, trotz Corona Freunde & Familie zu treffen. Und ja, es war und ist hart (Weihnachten) sich nicht auf gewohnte Art und Weise treffen zu können. Doch trotzdem haben wir Wege gefunden, uns coronakonform zu sehen: Schokis am Gartenzaun, Glühwein und Rote Wurst im Garten, ewig lange Videocalls usw. Und ich sehe, wie unsere Ministranten und die Katholische Jugend unter Corona leiden. Aber, wir haben uns ganz neue Aktionen ausgedacht, die in „normalen“ Zeiten niemals funktionieren würden! So unsere Adventskalender-Aktion, bei der 85 selbst gestaltete Adventskalender für alle Erstkommunionkinder, Ministranten, KjGler und die Mesner gebastelt und zugestellt wurden. Oder jetzt unsere Fastenaktion „Kirche mal anders!“, die es so noch nie gab und die spannende und aufregende 12 Wochen verspricht. Für mich gilt: jede Krise birgt ihre Chancen - und es liegt an uns, sie zu finden und zu nutzen. Anne Lohmüller

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Wir, eine 5 köpfige…

…Familie, wohnen in einer kleinen feinen 70qm Wohnung in Bühl. Unsere drei Kinder gehen alle in den Kindergarten. Wir Eltern arbeiten seit März 2020 überwiegend im Home Office. Den Alltag, besonders während Phasen mit geschlossenen Kindergärten, erleben wir als Herausforderung, den verschiedenen Anforderungen und Rollen gerecht zu werden. Und dennoch hat uns diese Zeit als Familie gefühlt enger zusammengebracht. So konnten wir beispielsweise durch die eingeschränkte Mobilität regelmäßiger bewusste Familienzeit genießen, mehr miteinander spielen und häufiger kleine Momente schaffen, die wir bewusster genießen etwa mit einem schön gedeckten Tisch. Wir bemerken, dass wir alle ein großes Bedürfnis haben, über Corona und die Begleiterscheinungen zu sprechen. Oft integrieren die Kinder Corona etwa in Rollenspiele. Die Begrenztheit unserer Wohnung hat uns kreativer werden lassen, was die Raumnutzung anbelangt – zeitweise wird das Bad als Mal- oder Musikzimmer genutzt. Sehr dankbar sind wir darüber, dass in dieser Krisenzeit der Pandemie bei uns neues Leben entstehen durfte und wir – wenn alles gut geht mit Gottes Hilfe – im Frühjahr Nachwuchs erwarten.
Verfasser der Redaktion bekannt

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Ich bin …

…schon seit längerem weit weg von Gott, mein Glauben ist irgendwann, und ich weiß noch nicht einmal genau wo und warum, auf der Strecke geblieben. Und trotzdem singe ich (wie seit Jahrzehnten) noch im Kirchenchor. Spaß an der Musik, die mich anrührt, Spaß am gemeinsamen Lernen, Arbeiten, Freude über tolle Konzerte, gemeinsam Geschafftes, gemeinsam Er“lebtes“, gemeinsam tief Empfundenes. Und jetzt? Die Proben fehlen, die Gemeinschaft fehlt, das Einlassen auf Andere, bei Anderen geborgen, aufgehoben zu sein. Und das letzte, was meine Seele noch anrührt im Spirituellen, bröselt nun auch. Ersatz? – will ich keinen, wäre jetzt auch hoffnungslos. Hoffnung? – ja, ist immer noch da, der Wunsch, wieder gemeinsam zu spüren, gemeinsam zu „jubilieren“, von mir aus auch in Moll, steht, aber wie lange noch...

Verfasser der Redaktion bekannt

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Wenn der Zugang zum Gottesdienst begrenzt werden muss 

Das Anfang 2020 bei uns noch weitgehend unbekannte Coronavirus hat den Kirchengemeinden einen neuen Dienst beschert. Wer hätte es vor einem Jahr für möglich gehalten, dass an unseren Kirchentüren jemals Ordner*innen stehen würden, die den Zugang zum Gottesdienst regulieren und darauf schauen müssen, dass die Zahl der Teilnehmenden eine bestimmte Zahl nicht überschreitet? Dass es in St. Johannes immer schwieriger wurde, Ehrenamtliche für den Ordnerdienst zu gewinnen, ist verständlich. Ginge es nur darum, Menschen zu begrüßen, sie auf die Händedesinfektion, die Masken- und Dokumentationspflicht und die markierten Sitzplätze hinzuweisen, wäre es ein angenehmer Dienst. Schwierig und mitunter belastend aber wird es, wenn plötzlich – wie am Zweiten Advent geschehen – fünf Minuten vor Beginn noch etwa 20 Personen vor der Kirche stehen und alle Plätze bereits belegt sind. Statt die Ankommenden freundlich zu empfangen, finde ich mich in der paradoxen Situation, Menschen den Zugang zum Gottesdienst zu verwehren. Den Hinweis auf unsere Sorge für die eigene Gesundheit und die der Anderen sowie auf die Vorgaben des Bischöflichen Ordinariats nehmen die meisten Personen mit Verständnis auf. Einzelne aber verleihen ihrem Unverständnis und Unmut deutlich Ausdruck oder gehen einfach in den Kirchenraum hinein. „Ihr habt zu wenig Vertrauen auf Gott!“, meint eine Frau vorwurfsvoll. Als dann nach dem Gottesdienst noch jemand zu mir sagt, unser Hygienekonzept sei nicht sicher genug, bin ich fast entschlossen, diesen Dienst nicht mehr zu tun…  An einem der nächsten Sonntage aber bin ich wieder dabei und freue mich über die durchaus nicht seltenen positiven Rückmeldungen derer, die froh sind, dass wir in der aktuellen Situation überhaupt Gottesdienste feiern können und dies so tun, dass möglichst kein Infektionsrisiko besteht. Ich danke allen, die den Ordnerdienst bisher getan haben und in den kommenden Monaten tun werden – bis er dann hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft der Vergangenheit angehören wird.  B.Jakob

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Kirche? – mein Geld …

…für einen Laden, in dem noch kein Verantwortlicher für Personal, kein Generalvikar, kein Bischof Verantwortung und persönliche Schuld, persönliche Beteiligung an Missbrauch, Machtmissbrauch und Strafvereitelung auf sich genommen hat?

Schon vor Corona konnte ich das nicht mehr ertragen, nicht mehr aushalten und habe daher meinen Abschied aus diesem Steuerverein erklärt – mein Geld ist für Wichtigeres da, als für die Finanzierung seelenloser Machtstrukturen. Das hat alles keine Auswirkungen auf mein Engagement in der Gemeinde, auf mein Glaubensleben, auf meine Spiritualität. Davon war ich zumindest felsenfest überzeugt, aber dann? – Covid 19! 

Die wenigen Plätze in der Messfeier lasse ich anderen, Kirchenkonzerte und weitere Formen des Feierns meines Glaubens gibt es nicht mehr, Spiritualität, Gottes Nähe vor dem Fernseher oder dem Videostream ist für mich keine Alternative, nicht einmal ein Ersatz. Ein Vaterunser in irgendeiner, zufällig betretenen, meistens fast leeren Kirche, aber nicht „meiner“ Kirche, ein Stoßgebet in einer Kapelle, an einem Feldkreuz, das ich auf einer Wanderung zufällig entdecke, ist das, was mir noch bleibt. Und jetzt verlegen wir auch noch mein allerletztes „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“ ins Internet, nicht einmal mehr analoge Redaktionssitzungen für unser „Blättle“ lässt mir das Virus...

A. Anlauf

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Ein Kraft-Ort, zu dem ich immer hingehen kann

Das vergangene Jahr wäre für unsere Familie schon ohne Corona schwer genug gewesen. Denn kurz vor dem Lockdown im März erfuhren wir von einem Tag auf den anderen, dass unsere Tochter möglichst schnell operiert werden musste. Doch dann konnte diese lebensnotwendige Operation zuerst nicht stattfinden. Dreimal musste der Termin wegen Corona verschoben werden, und bei einer Folgeoperation im Herbst war es genauso. Von Beginn an hatten wir kaum Kontakte, damit wir sie besuchen konnten; zumindest eine Person durfte jeden Tag zu ihr. Aber insgesamt konnten wir kaum etwas tun. Auch bei den Komplikationen, die es gab, blieb uns immer nur, Geduld zu haben und zu warten. Ich hatte viel Angst und manchmal das Gefühl, als ob mir einfach die Luft wegbleibt. In dieser ganzen Zeit habe ich oft vor dem Hoffnungskreuz gesessen, das seit dem Beginn der Pandemie vor dem Marienaltar in St. Ägidius liegt. Für mich ist das ein Ort, an dem ich klagen und auch weinen kann. Ein Ort, an dem ich versucht habe, den Plan Gottes zu verstehen – was mir oft nicht gelungen ist. Und trotzdem kommt mir dieser Ort wie ein Anker vor, ein Kraft-Ort, an dem ich immer wieder spüre: Gott geht mit auf diesem schweren Weg. Ich kann meine Sorgen an ihn abgeben und in ganz kleinen Schritten weitergehen. Es tut mir auch gut zu wissen, wie viele liebe Menschen uns im Gebet begleitet haben – in einer Zeit, in der niemand uns umarmen darf. Und es gab Personen in unserer Gemeinde, die immer erspürt haben, was wir gerade brauchen; manchmal ist mir das fast vorgekommen wie die leise Berührung durch einen Engel. Von Anfang an hat mich auch das Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ von Dietrich Bonhoeffer begleitet. Gerade die zweite Strophe drückt gut aus, was ich empfinde, auch jetzt, da es unserer Tochter langsam besser geht:

Noch will das alte unsre Herzen quälen,noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast. Verfasser der Redaktion bekannt

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„Da bricht etwas weg“

Wie hat Corona nach deiner Erfahrung das Gemeindeleben verändert? Die Antwort auf diese Frage ist für Hedwig und Theodor Heymann eindeutig: „Da bricht Stück für Stück etwas weg. Fast alles steht auf der Stelle.“ Für das Ehepaar, das zu den ganz regelmäßigen Gottesdienstbesuchern der St. Paulus-Gemeinde gehört, steht sonntags inzwischen die Messe übers Fernsehen oder das Internet auf dem Programm. Einer der erwachsenen Söhne sagt ihnen, wann immer Gottesdienste aus Tübingen übertragen werden und hat ihnen gezeigt, wie sie die empfangen können. Keine dieser Messen hat das Ehepaar verpasst, sondern mit Hilfe eines Tablet-Computers verfolgt. „Das fand ich richtig gut, vor allem an Ostern und Weihnachten“, meint Theo. Trotzdem vermissen die beiden vor allem eins, sagt Hedwig Heymann: „Es ist ja auch schön, wenn man sich vor oder nach dem Gottesdienst trifft und noch mit anderen sprechen kann. Das fehlt einfach.“ Deshalb freuen sich beide darauf, wenn sie wieder Präsenzgottesdienste besuchen können.  Ludwig Cremer

 

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Dankbarkeit als Lebenselixir

„Ein Gutes hat Corona ja: Wenn ich jetzt mit Mundschutz einkaufen gehe, schauen mich nicht mehr alle Leute so komisch an!“, sagte mir neulich eine transplantierte Patientin, die aufgrund ihres großen Infektionsrisikos in der Öffentlichkeit stets eine Maske tragen muss…. Ja, Corona hat Vieles verändert und manch Außergewöhnliches für alle alltäglich werden lassen! Bisher Selbstverständliches wird in Frage gestellt, vermeintliche Sicherheiten kommen ins Wanken; vorher oft gedankenlos Gelebtes gewinnt neu Bedeutung und der frühere Alltagstrott wird zum Sehnsuchtsort: „Ich wünschte mir so sehr, einfach wieder ganz normal arbeiten zu können und nach Feierabend etwas Zeit mit meiner Familie zu verbringen“, so ein Covid-19-Patient in einem Gespräch…

Ja, es ist einschneidend, plötzlich erfahren zu müssen, dass wir unser Leben selbst nicht im Griff haben, dass wir so Vieles in unserem Leben nicht einfach „machen“ können! Eine Erfahrung, die kranken Menschen vertraut ist, an der ich als Klinikseelsorger oft teilhaben darf und die ich auch selbst schon schmerzlich erleben musste. Je länger ich diese Arbeit (mit großer Freude!) mache, umso mehr wird mir bewusst, dass alle existenziell wichtigen Dinge Geschenk sind: Gesundheit, das Leben selbst, Liebe, Freundschaft, Glück, Sinn…. Gewiss, wir können Manches dafür tun – aber „machen“ können wir sie nicht. Das verunsichert – kann aber gleichzeitig auch befreien! Ich sage oft zu Patienten, dass jede/r nur das Seine tun kann: Der Patient das, was ihm möglich ist, Ärzte und Pflegende das, was sie tun können, und den großen Rest dürfen wir in größere Hände legen. Was nicht in meiner Macht liegt, muss ich auch nicht tun! Entlastend, wenn ich das tatsächlich einem Größeren anvertrauen kann!

Auch wenn dies natürlich nicht immer gelingt und Zeiten des Haderns und Zweifelns unweigerlich kommen, überwiegt in mir zunehmend die Haltung der Dankbarkeit – gerade weil so vieles Geschenk ist: Das eigentliche Wunder ist ja, dass unser menschlicher Körper in seiner Komplexität überhaupt funktioniert – dass so etwas wie Gesundheit möglich ist! Oder dass bei allem, was wir einander und unserer Umwelt antun, Leben immer noch geht – Leben, das trotz aller Beeinträchtigungen, Krankheiten und Widrigkeiten gelingen kann! Wie oft erlebe ich, dass Menschen mit ihrer Krankheit ihren Weg gehen lernen, ihre Situation annehmen und auch auf schweren Wegen wertvolle Erfahrungen machen; und wie oft erlebe ich, dass Menschen sich bewusst Sterben und Tod stellen, vieles nochmals mit neuem Blick sehen und ihre verbleibende Lebenszeit intensiv durchleben…  

Und so versuche ich - gerade auch jetzt in der Coronakrise - bewusst all die Dinge wahrzunehmen, die mir das Leben liebenswert machen, im Großen und im Kleinen: Meine Familie, wichtige Freundschaften, gelingende Begegnungen, Erfüllendes in der Arbeit; aber auch die kleinen Dinge wie den Morgenspaziergang mit dem Hund, die klare Luft, das Prasseln des Regens, den ich im warmen Bett höre oder wenn ich mir mit schönen Dingen eine kleine Freude mache…. „Du musst halt positiv denken!“: So sehr ich diesen Satz als Floskel zum billigen Trost Kranker hasse, so sehr schätze ich ihn gleichzeitig unter dem einem Wahrheitsaspekt: Nicht immer ist alles nur schwer und schlecht – immer gab und gibt es auch Gutes und Schönes im Leben! Es lohnt sich, darauf ganz bewusst den Blick zu richten und dieses Positive wahrzunehmen. Die Dankbarkeit dafür ist mein Lebenselixir – nicht nur in der Coronakrise!

Martin Günter, Pastoralreferent in der Klinikseelsorge Tübingen

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Die Welt ist …

…klein geworden, der Einkauf nun das
Ereignis des Tages, detailgenau geplant. Slalomlauf.
Einerseits. Anderseits, die Wald-und-Wiesen-Gänge in der Frühe, das Morgenlicht, die Stillleben der Natur übers Jahr, was für ein Reichtum! M. Warth