Der synodale Weg

Chance für einen neuen Aufbruch

Tübingen am 30.11.2019
Dr. Claudia Lücking-Michel

Hintergründe und Anlass
Die katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise. Ein wesentlicher Grund ist der massenhafte sexuelle Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker. Öffentlich thematisiert wurde das in Deutschland zuerst 2010 durch Pater Klaus Mertes SJ. Als Reaktion darauf ist einiges geschehen, aber insgesamt viel zu wenig. Das wurde spätestens im Herbst 2018 offenbar, als die sog. „MHG-Studie“ die Ausmaße aufgezeigt hat: Es geht um mehr als 1600 Täter seit 1945.
Dabei sind der geistliche Missbrauch und die Gewalt gegen Frauen, besonders auch gegen Ordensschwestern, noch gar nicht systematisch aufgearbeitet.
Die Studie verweist aber ebenso darauf, dass der ungeheuerliche Missbrauch sakralisierter Macht, die schändliche Vertuschung von Taten und der perfide Schutz von Tätern systemische Ursachen haben.
Wir müssen damit die Frage beantworten, wie Kirche in der Welt von heute das Evangelium glaubwürdig verkünden kann, wenn sie selbst das größte Hindernis ist? Ihre Botschaft klingt für viele Menschen nur noch hohl. Wie kann sie überzeugend vermitteln, dass es ihr in ihrer Liturgie, in ihrer Verkündigung und in ihrer Diakonie nicht um sich selbst geht, sondern um Gott und die Menschen?
Umso wichtiger ist jetzt eine kritische Auseinandersetzung mit den Bedingungen, die diesen Machtmissbrauch ermöglicht haben und mit den Prozessen und Strukturen, die für eine nachhaltige Erneuerung der Kirche notwendig sind. Antworten soll der sog. „Synodale Weg“ geben. Wenn er das Problem dabei ganz grundsätzlich angehen will, ist das gerade kein „Missbrauch vom Missbrauch“ wie immer wieder vorgeworfen wird, sondern eine Konsequenz aus der MHG-Studie.

Was bisher geschah
Dieser sog. „Synodale Weg“ hat viele Vorläufer, etwa die Würzburger Synode (1971-75) und die Pastoralsynode der Katholischen Kirche in der DDR (1973-75). Es gab auch zahlreiche Diözesansynoden und -foren, die unter großer Beteiligung der Gläubigen stattgefunden haben. Man muss aber auch festhalten, dass wichtige Impulse nicht aufgenommen oder nur halbherzig verfolgt worden sind. Das hat viele Frustrationen ausgelöst.
Auf die Erschütterung durch die Missbrauchskrise 2010 hat die Deutsche Bischofskonferenz reagiert mit dem sog. Dialogprozess „Im Heute Glauben“ (2011-2015). Im Abschlussbericht heißt es hier „Unser Weg als Kirche kann erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Verkrustungen aufzubrechen, die das kirchliche Leben auf allen Ebenen durchziehen, und die Energie und die Potenziale freizusetzen, die es in unserer Kirche auch heute in reichem Maße gibt. […] die Schätze, mit denen ein neuer Aufbruch in der Kirche gelingen kann.“ Passiert ist dann erstmal nichts weiter mehr. Und wieder einmal hat sich der Eindruck verfestigt, es solle doch am Ende wieder alles beim Alten bleiben. Das Misstrauen gegen die Amtskirche wächst und anders als früher macht das Misstrauen nicht vor den Kirchentüren halt.
Im November 2016 beschloss die ZdK-Vollversammlung die Erklärung „Synodalität. Strukturprinzip kirchlichen Handelns“ und formulierte, Synodalität sei „als eine Grundhaltung bei Beratungen sowie in Entscheidungsprozessen zu betrachten“, die „ergebnisoffen“ und „kommunikativ“ unter Einbezug des Glaubenssinn aller Glaubenden (sensus fidelium) „im Rahmen der Gegebenheiten nach der besten pastorale Praxis sucht.“ Viele Verbände waren äußerst aktiv. Immer wieder haben sie eine neue Synode eingefordert, Anträge und Beschlüsse auf den Weg gebracht oder sich auch inhaltlich mit den Möglichkeiten einer Synodalen Kirche auseinandergesetzt. Passiert ist aber weiterhin erstmal nichts mehr.
Nach der Veröffentlichung der MHG-Studie im September 2018 . In der darauffolgenden Vollversammlung des ZdKs im November 2018 „brannte die Hütte“- so enttäuscht, erbost und erschüttert waren die Katholik*innen über ihre eigene Kirche bzw. deren Verantwortliche. Der Beschluss der ZdK-Vollversammlung „Entschlossenes gemeinsamem Handeln, jetzt!“ vom November 2018 hält fest:
„Nur ein Aufbrechen von Machtstrukturen wird zu einer notwendigen und grundlegenden innerkirchlichen Reform führen... Eine Besänftigungs- und Beschäftigungstherapie für das Volk Gottes ist jedoch nicht angesagt.“
In ihrer Frühjahrsvollversammlung 2019 hat sich dann eine große Mehrheit (62 zu vier Enthaltungen) der Bischöfe zum sog. „Synodalen Weg“ entschlossen. Diese Entscheidung kam in Lingen nicht zuletzt unter Druck einer Öffentlichkeit zustande, die sich nicht mehr mit Ausreden ablenken und mit Problemvertagungen abspeisen ließ. Das Bild der deutschen Bischöfe in vollem Ornat, die statt mit den Frauen im Regen draußen vor der Kirche zu diskutieren, ihnen aus dem Bus zuwinkten, wirkte wie ein Fanal. Mit ihrer Entscheidung haben die Bischöfe schließlich selbst eingeräumt, dass sich die Systemprobleme kirchlichen Machtmissbrauchs nur in einer veränderten geistlichen wie theologischen Auffassung von Macht und mit wirklicher Machtteilung im ganzen Volk Gottes bearbeiten lässt.

Auf dem Weg zum Weg
Von Lingen erging dann die Frage an das ZdK, sich an diesem Prozess „auf Augenhöhe“ zu beteiligen. Ja an was eigentlich genau? Angefangen vom Namen, über die Geschäftsordnung, dem Ziel, den Möglichkeiten und dem Rahmen musste alles geklärt, erfunden, abgesprochen werden. Der Weg entsteht beim Gehen? – Selten war dieser Spruch richtiger als beim sog. Synodalen Weg.
Die Phase vom Frühjahr 2019 bis zum Herbst war so eine intensive Zeit der Vorbereitung. Eine Satzung wurde abgestimmt – und hat immerhin schon selbst in Rom für Aufmerksamkeit gesorgt. Eine entscheidende Bedingung für eine Mitwirkung war die Forderung der ZdK Vollversammlung nach einem vierten Forum, dass sich dem Thema „Frauen und Dienste und Ämter in der Kirche“ widmen soll. So wurden aus den zunächst vorgesehenen drei Themenkomplexen „Priesterliche Lebensform“, „Sexualmoral“ und „Macht- und Gewaltenteilung“, inzwischen vier. Arbeitsgruppen zu allen vier Themen haben Vorbereitungspapiere erarbeitet und im Internet veröffentlicht. Bei ihrer Herbstsitzung 2019 hat die Bischofskonferenz den Planungen zugestimmt. Dann fehlte nur noch die Zustimmung der ZdK-VV und der Synodale Weg startete mit dem Beginn des neuen Kirchenjahres am 1. Advent 2019.

Arbeitsweise
Kritische Rückfragen an das ganze Vorhaben beginnen meist schon beim Namen. Was soll denn bitte ein „Synodaler Weg“ sein? Der CIC kennt Diözesansynoden, Plenarkonzilien, aber keine nationale Synode, bei der Laien gleichberechtigt mitstimmen. Die Idee eines „Synodaler Wegs“ ist also ein kreativer Versuch, etwas Neues zu machen, was es im Kirchenrecht (noch) nicht gibt und entsprechend auch nicht durch kirchenrechtliche Vorgaben begrenzt ist. Auch die Würzburger Synode war nach dem damaligen Kirchenrecht nicht vorgesehen, sondern bedurfte der ausdrücklichen Ausnahmegenehmigung des Vatikans. Insofern sollte der Rahmen der Erneuerung in inhaltlicher und in prozeduraler Hinsicht auch heute nicht von den bisherigen Verfahren und dem geltenden Kirchenrecht begrenzt werden. Vielmehr muss er sich weit darüber hinaus aufspannen lassen, damit das Volk Gottes sich wirklich einbringen und Umkehr bewirken kann – sonst bräuchte dieser Weg nicht beschritten zu werden.
Die Ziele, Kompetenzen, Zuständigkeiten, und Entscheidungsbefugnisse sowie die Geschäftsordnung und der kirchenrechtliche Status des „Synodalen Weges“ wurden mittlerweile geklärt und - sind bescheiden genug. Doch es war wichtig, schon möglichst früh allen Beteiligten mindestens Prozesssicherheit zu geben.

Über allem schwebt eine offene Grundfrage: Die bischöfliche Entscheidung zum „Synodalen Weg“ ist eine Entscheidung innerhalb eines Systems, das genau nicht vorsieht, dass man sich mit der eigenen Entscheidung an Entscheidungen bindet, die im ganzen Volk Gottes entwickelt, beraten und beschlossen werden. Wenn das die ernsthafte Absicht ist, dann kann hier wirklich Neues entstehen.

Das „Design“ des Synodalen Weges soll aus mehreren größeren Plenar-Versammlungen, zwischenzeitlichen Hearings, einem Zeitrahmen von etwa 2 Jahren und einem öffentlichen, transparenten, partizipativem und ergebnisbezogenen Verlauf bestehen. Als einziges sehr früh entschieden war der Ort der Plenarveranstaltungen. Die sollen jeweils im Frankfurter Dom stattfinden – ein wirklich schönes Symbol.
Offen bleibt bisher in wieweit Ergebnisse des Synodalen Wegs schließlich durch den kirchlichen Gesetzgeber in das Kirchenrecht und durch die Ortsbischöfe in die Kirchenpraxis ihrer Diözesen aufgenommen wird, so dass die Inhalte der Erneuerung verbindlich als neue Grundlage für die Kirche in Deutschland Geltung finden. Am Anfang der Beratungen der Würzburger Synode stand immerhin schon mal so etwas wie eine Bischöfliche Selbstverpflichtung, die Ergebnisse ernst zu nehmen.
Und wie umgehen mit den Themen, die nicht auf Ebene der Ortskirchen entschieden werden können? Sie müssen in jedem Fall verhandelt werden – sonst bräuchte man gar nicht anfangen zu reden. Die „Synodalen“ sind nicht getrieben von einem deutschen Allmachtsanspruch, aber von der Hoffnung, dass im Konzert der Weltkirche die deutschen Stimme auch klar und deutlich zu vernehmen ist. Reformvorschläge, die die Universalkirche betreffen, sollten deshalb dem gesamtkirchlichen Gesetzgeber als Vorschläge der deutschen römisch-katholischen Kirche übergeben werden.

Inhalte: Vier Foren als Wegbereiter
Die inhaltlichen Anliegen des Synodalen Wegs verteilen sich auf die vier genannten Themenbereiche. Aber man sollte auch nochmal auf die Beschlüsse des ZdKs vom November 2018 veweisen. Als Ganzes sind sie die Grundlage für die Beteiligung des ZdKs am Synodalen Weg. Hier wurde deutlich, dass viele aktive Katholiken die vormoderne Ordnung in der Kirche nicht mehr mittragen und – modern würde man sagen, - bei der „governance“ Veränderungen einfordern Deshalb hier noch einmal die Kernforderungen:
Trennung von Exekutive und Judikative im Kirchenrecht und eine unabhängige kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz.
Verantwortung und Entscheidungskompetenz aller Getauften und Geweihten auf allen Ebenen der Kirche.
Gleichberechtigte Teilhabe von Laien und Geweihten an Leitung von Kirche, um eine umfassende Transparenz zu schaffen und um der in der MHG-Studie beschriebenen Klerikalisierung entgegenzuwirken.
Gleichstellung von Frauen und Männer in der Kirche und daher Zugang aller Getauften und Gefirmten zu allen kirchlichen Ämtern. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern vor allem eine Zukunftsfrage für die Kirche.
Abschaffung des Pflichtzölibats.
Damit einher geht eine hohe Wertschätzung des Zölibats, aber auch die klare Erkenntnis, dass man den Diözesanpriestern die Wahl ihrer Lebensform freistellen muss, damit der Zölibat wieder glaubhaft auf das Himmelreich verweisen kann.
Positive Anerkennung der vielfältigen Lebensformen und Lebenswirklichkeiten in der katholischen Sexualmoral.
Damit sind wir bei dem Themenbereich, der den Anlass für die aktuelle Krise geliefert hat. Nichts weniger als ein Neustart bei der kirchlichen Sexualmoral wird nötig sein, eine verständige und gerechte Neubewertung der Homosexualität inclusive.

Der synodale Weg und die Weltkirche
Spätesten an dieser Stelle werden Vorwürfe laut, die deutsche Kirche würde entweder eine neue Reformation vorbereiten und sich von der universalen katholischen Kirche trennen wollen oder umgekehrt mit ihren Reformvorschlägen die Weltkirche spalten.
Aus meiner Erfahrung mit den vielfältigen Situation in der Weltkirche kann ich nur sagen: Natürlich gibt es viele Länder, in denen eine neue Haltung Homosexualität gegenüber oder gar eine Zulassung von Frauen zu Weiheämtern schieres Entsetzen auslösen würde. Aber Rückfrage: Wer ist da entsetzt und inwiefern repräsentieren diese Stimmen wirklich die Gesamtheit der jeweiligen Ortskirche? Werden nicht vielmehr homophobe und frauenfreundliche Machtstrukturen vor Ort bestärkt und die dort Unterdrückten wieder überhört? Außerdem erlebe ich weltweit viele pragmatische Lösungen. Oft kämpft da zwar niemand für die Aufhebung des Pflichtzölibats, aber umgekehrt hat auch kaum jemand Verständnis dafür. So mancher afrikanische Bischof, der sich in Rom linientreu äußert, weiß genau wie viele seiner Priester zuhause gegen den Zölibat verstoßen und akzeptiert dies nicht nur stillschweigend, sondern selbstverständlich. Schließlich übersieht das an die Wand gemalte Schreckensszenario einer Kirchenspaltung, dass wir ja bereits jetzt eine Spaltung haben. 100 000 verlassen jedes Jahr die Kirche, nur leider gehen sie leise, statt mit lautem Protest die Türen hinter sich zuzuknallen.
Wir sollten die Amazonassynode als role-modell nehmen: Starke Ortskirchen vertreten für sich und ihre Situation angemessene Lösungen und die Weltkirche öffnet Handlungsoptionen innerhalb deren dann jede Region für sich entscheiden kann. Eine Zulassung von Frauen zum Weihediakonat zum Beispiel als ein erster Schritt, müsste dann genauso wenig weltweit überall praktisch umgesetzt werden, wie jetzt der Ständige Diakonat für Männer.
Jedenfalls ist eines klar: Die deutsche Kirche steht unter Beobachtungen. Viele schauen mit Sorge, aber noch viel mehr mit großem Interesse und Hoffnung. Wir sollten vormachen, dass solche Prozesse wie unser „Synodale Weg“ fruchtbar, konstruktiv und im guten Sinne fromm seinkönnen.

Der Papstbrief
Im Juni 2019 gab es eine kleine Attraktion. Papst Franziskus schrieb persönlich, nein nicht an seine Mitbrüder im bischöflichen Amt, sondern an das „pilgernde Volk Gottes in Deutschland“. Dieser Brief ermutigt ganz besonders, den Synodalen Weg zu gehen. Er mahnt, dass wir dabei mit der Weltkirche verbunden bleiben müssen. Natürlich, das wollen wir. Und Papst Franziskus warnt davor, nur Organisationsfragen zu stellen. Natürlich, da hat er auch Recht. ABER: Es müssen auch Organisations- und Strukturfragen gestellt und nach Antwort gesucht werden können. Die Evangelisierung, die Verkündigung der Frohen Botschaft in Wort und Tat muss das A und O des Erneuerungsprozesses sein. ABER: Die Fragen nach Macht, Partizipation und Gewaltenteilung müssen gerade deshalb offen diskutiert und ebenso klug wie mutig entschieden werden, damit Leben und Reden, Glauben und Verkündigung, Anspruch und Wirklichkeit der Kirche nicht weiter auseinanderfallen.

Schluss
Ich bin jedenfalls zutiefst davon überzeugt, dass wir gemeinsam als Kirche in dieser Welt gebraucht werden, um das Evangelium zu verkünden und Zeugnis von der Hoffnung auf Versöhnung zu geben.
Wir werden gebraucht, um uns wahrhaftig für die Schwachen und Unterdrückten, für das Leben und den Frieden einzusetzen. Das können wir glaubwürdig nur tun, wenn wir uns als katholische Kirche grundlegend erneuern. Den Synodalen Weg sollten wir dafür nutzen.